"Ich hatte selbst schon ganz vergessen, was ich hier alles gemacht habe"

Erkrath
19.08.2015

Seit dem Gründungsjahr 1983 ist Helga Niebann im Verein aktiv, war an fast allen Inszenierungen beteiligt - früher als Schauspielerin, zuletzt vor allem als fleißige Helferin vor und hinter der Bühne. Kürzlich hat Helga angekündigt, in den wohlverdienten "Theaterruhestand" gehen zu wollen. Für uns war es eine absolute Selbstverständlichkeit, ihr einen gebührenden Abschied zu bereiten: Am vergangenen Samstag wurde Helga Niebann in einer Überraschungszeremonie zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt.

Typisch Helga! „Hätte ich das gewusst, hätte ich mich noch einmal umgezogen“, lacht sie. Vor ein paar Minuten hat sie nicht schlecht gestaunt, als das Ensemble sie in Kostümen, Abendgarderobe und mit Sektgläsern in der Hand empfing. Eigentlich war sie doch nur zum Aufräumen und Säubern des Proberaums gekommen – zumindest hatten wir sie unter diesem Vorwand hergelockt.

Nun aber sitzt sie da und wartet gespannt darauf, dass das angekündigte „Überraschungsprogramm“ beginnt. Helgas Blick wandert dabei über die "Ahnengalerie" - eine Wand mit den Plakaten aller Inszenierungen, die die Theatergruppe UNTERFELDMÄUSE bis in die jüngste Vergangenheit auf die Bühne gebracht hat. Hin und wieder muss sie lachen, ihr fallen kleine Anekdoten ein. Dann ruht ihr Blick auf dem Plakat von "Frau Holle" (1988): "Darin hab' ich die böse Stiefmutter gespielt. Ich hab' oft die Bösen gespielt", erinnert sie sich. "Wegen meiner Stimme. Ich hatte schon immer eine laute Stimme", fügt sie hinzu.

Wir schauen uns an und müssen schmunzeln. Ja, Gehör hat sich Helga auch bei uns immer verschafft. Aber nicht nur wegen ihrer Stimme (die so laut nun auch wieder nicht ist), sondern weil das, was Helga zu sagen hatte, immer Hand und Fuß hatte. Sie hat im Laufe der Jahre viele Mitglieder kommen und gehen sehen, war lange Zeit Vorstandsmitglied, kennt offenbar „jeden Hans und Franz“ in Erkrath (und einen Hans kennt sie sogar ganz besonders gut!).

Mit ihr wird ein durch und durch herzlicher und engagierter Mensch den Verein verlassen. Eine Person, die sich nie verbiegen ließ. Eine, die immer mit anpackte, wenn Not am Mann war. Die nicht nur geredet hat, sondern immer mit als erstes zur Tat geschritten ist. Aber auch eine gestandene Frau, die uns manchmal ebenso fürsorglich wie kritisch ermahnt hat und treffsicher „den Finger in die Wunde“ legen konnte. Kurz und gut: Ein Mitglied, über das sich jeder Verein glücklich schätzen kann und das eine schmerzliche Lücke hinterlassen wird. Gerade in jüngster Zeit kam es bei uns zu vielen, zum Teil umstrittenen Veränderungen im Verein. Sogar der vertraute „Rufname“ Unterfeldmäuse trat gegenüber dem neuen offiziellen Vereinsnamen „Kultur- und Theaterinitiative Neandertal“ (KuTiNea) etwas in den Hintergrund. Helga aber blieb stets das personifizierte Bindeglied zu unseren Vereinswurzeln und zugleich der „Fels in der Brandung“: Unumstößlich und verlässlich. Trotz 32jähriger Mitgliedschaft pochte sie nie verbohrt auf den Status Quo, sondern war stets offen für Neues und blieb (nein: bleibt!) auch der neuen Theatergeneration im Verein verbunden.

Bevor wir zu wehmütig werden können, startet zum Glück endlich das Programm. Alle stellen sich auf. Helga dagegen darf auf einem Thron inklusive einem davor ausgerollten roten Teppich Platz nehmen. Es beginnt mit einer (gespielten) Rede von Angela Wirkner und Petra Dreisiebner, die sich in ihren Rollen betont gelangweilt geben und sich offenbar mehr schlecht als recht vorbereitet haben. „Ist doch nur für Helga und nichts besonderes“, scheinen sie aussagen zu wollen. Dann aber kommt plötzlich Leben in die Bude: Die Tür geht auf, und im Türrahmen steht eine seltsame Gestalt. Sie trägt einen silbernen Ganzkörperanzug, blinkende Lichter und eine Art Strahlenpistole. Offenbar ein Professor (gespielt von Rainer Blume), ein Zeitreisender, vielleicht auch aus einem anderen Universum. Er scheint gestrandet zu sein und wundert sich zugleich über unsere Zeremonie. Den Rednerinnen ist er zunächst ein Dorn im Auge, doch dann bringt er seine „www-Maschine“ („was-wäre-wenn-Maschine“) ins Spiel. Per Knopfdruck katapultiert er uns genau zurück in das Jahr 1988 zur eben angesprochenen Inszenierung von Frau Holle: Kurz vor Aufführungsbeginn sitzen die Kostüme zweier Darstellerinnen (gespielt von Anja Matthies und Yvonne Unger) nicht richtig. Lautstark rufen sie nach Helga. Helga gelingt es, die Kostüme schnell zu nähen; der anschließende Auftritt klappt problemlos. Alles gut also? Mitnichten, denn zum Vergleich wechselt die Maschine des Professors nun in den „Was-wäre-wenn-NICHT“-Modus. Dieser zeigt ein Paralleluniversum ohne H-E-L-G-A:

Gleiche Situation wie eben: Die Kostüme sitzen nicht richtig. Aber da es in diesem Universum offenbar keine Helga gibt, ist eine kurzfristige Rettung nicht mehr möglich. Die Darstellerinnen müssen also in der ersten Szene verschämt ihre Röcke mit den Händen festhalten – und stehen kurze Zeit später dann doch in Unterwäsche auf der Bühne. Dieser Vergleich macht auch den beiden  Rednerinnen erstmalig so richtig klar: Mit Helga wär‘ das nicht passiert!

Es folgen weitere Beispiele dafür, wie wichtig und aktiv Helga war – und vor allem dafür, wie es im Verein aussehen könnte, wenn es keine Helga gäbe: Dann würden Texte nicht mehr souffliert, Soundeffekte müssten verbal erzeugt werden, Requisiten und Bühnenbilder würden bei eBay (Helgas Spezialität!) völlig überteuert eingekauft, und die Kassenführerin würde das Vereinsvermögen schlichtweg versaufen. Nach jeder dargestellten Szene reift die Erkenntnis: Mit Helga wär‘ das nicht passiert!

Etwa eine Dreiviertelstunde dauert die Präsentation. Am Ende ist sogar Helga verblüfft: „Ich hatte selbst schon ganz vergessen, was ich hier alles gemacht habe!“ Dann kommt es zur eigentlichen Ehrung, die für Helga offenbar noch immer überraschend ist: Für ihre langjährige und verdienstvolle Mitgliedschaft ernennen wir sie zum Ehrenmitglied unseres Vereins. Als wir ihr die Urkunde, den Blumenstrauß und ein kleines Geschenk überreichen, fließen dann auch noch ein paar Tränen (und zwar nicht nur bei ihr!). 

Vielleicht – hoffentlich! – wird es zukünftig nicht ganz so chaotisch bei uns werden wie in dem dargestellten Paralleluniversum. Und zum Glück bleibt Helga für uns erreichbar, steht uns aus der Ferne auch weiterhin vor allem mit gutem Rat zur Seite. Selbstverständlich werden wir uns auch wiedersehen, denn Helga wird unseren Inszenierungen als Zuschauerin treu bleiben (ob sie das dann wohl entspannt genießen kann?). Aber trotzdem: Sie wird uns sehr fehlen, unsere Helga. Wenigstens hat sie jetzt genügend Zeit für ihr zweites Hobby – Urlaub machen! Denn auch das ist typisch Helga: Die lange gemeinsame Reise mit uns mag vorbei sein, doch an Rast und Stillstand ist bei ihr nicht zu denken. Viel Glück und Gesundheit auf all Deinen weiteren Wegen, liebe Helga!

Ach so, übrigens, nur mal so zum Vergleich: Neues „dienstältestes“ Mitglied ist jetzt Marc-Oliver Teschke. Er benötigt nur noch 27 Jahre Mitgliedschaft, um mit Helga gleichzuziehen. Na dann: Toi toi toi!

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